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Dialoge zwischen Wort und Bild

Silke Andrea Schmidt · Dorit Lecke · Silke Scheuermann

Eine Veranstaltungsreihe des Frauenreferates der Stadt Frankfurt am Main kuratiert von Sonja Müller in der Ausstellungshalle der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt.

2. bis 11. Dezember 2004
Am Eröffnungsabend liest Silke Scheuermann aus ihren Gedichtsbänden

‚Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen’ und

‚Der zärtlichste Punkt im All’.

Installation von Silke Andrea Schmidt: Schriftzug aus Hasenfutter mit Hasenpräparaten



 

Text von Sonja Müller, 2004

Eine fünfundzwanzig Meter lange Papierbahn erstreckt sich über die gesamte Länge der Ausstellungshalle, wie Rhizome wuchern die Linien, in leidenschaftlichen Zeichnungsprozessen schlingen sie sich in alle Richtungen, verdichten sich zu Knäulen und amorphen Wesen. Mehr Installation als Zeichnung sprengt Dorit Leckes Wandbild die weissen Flächen des Papiers, setzt sich spielerisch über die Grenzen des Mediums hinweg.

Scheinbar gegensätzlich ist die Arbeit von Silke Andrea Schmidt mit dem Titel ‚Without a rabbitheart’ - eine Hommage an den Hasen. Ihr forschender Blick ist gerichtet auf die Veränderungsprozesse aus der Sicht der menschlichen Wahrnehmungsweise und den daraus resultierenden Umgang mit der Natur. Natürliche und industrielle Materialien werden in ein seltsames Spannungsverhältnis gesetzt, der überdimensionale Schriftzug ‚heart’ aus industriell gefertigtem Hasenfutter nimmt den grössten Teil des Hallenbodens ein und bildet mit einem Dutzend wildfarbenen Hasenpräparaten und einem Materialspektrum aus Hasenleim, Filz und Heu eine mehrteilige raumgreifende Installation.

Beide Künstlerinnen finden auf sehr unterschiedliche Weise ihre Inspirationsquellen im Reichtum der Natur. Die impulsive Arbeitsweise von Dorit Lecke steht den konzeptuell symbolischen Ansätzen von Silke Andrea Schmidt gegenüber, beide Werke ergänzen sich zu einem spannungsvollem Ganzen.

Bereits zum zweiten mal fanden die „Dialoge zwischen Wort und Bild” auf Initiative des Frankfurter Frauenreferates in der Ausstellungshalle der Johann-Wolfgang Goethe-Universität statt. Jungen Frankfurter Künstlerinnen und Autorinnen eine Plattform zu bieten zum interdisziplinären, gemeinsamen Arbeiten, ist das primäre Anliegen dieser Veranstaltungsreihe. „Aber was kommt, wenn wir uns alle Geschichten erzählt haben?” fragt Silke Scheuermann in einem ihrer Gedichte. Farben, Formen und Erinnerungstücke mischen sich in einer Collage aus Bildern und Texten und laden den Betrachter und Leser ein – zu einem persönlichen, assoziativen Denken in Bildern.

Es erscheint ein Katalog.
Zu bestellen unter info@silke-andrea-schmidt.de,

hier anzusehen.



 

Gedichte von Silke Scheuermann, aus:

"Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen" und:

"Der zärtlichste Punkt im All" © Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main


Requiem für einen gerade erst eroberten Planeten mit intensiver Strahlung

Aber was kommt wenn wir uns alle Geschichten erzählt
haben zehntausend heiße Geschichten
das Lexikon unserer Luftschlösser durchbuchstabiert
ist und wir unseren Stern durchgesessen haben wie das Sofa auf dem wir uns sehr genau kennenlernten
wenn wir dann stumm am Fenster sitzen und rauchen
Nächte von fast vollkommener Stille
in denen nur deine letzten Sätzen nachhallen
Sie sprachen davon daß wir
beide eigentlich Himmelskörper sind
die eine so große Anziehungskraft haben daß sie nicht
einmal ihr eigenes Licht fortlassen
also nicht leuchten sondern schwarz sind an ihrer Zunge verbrannte Erzähler


Flüsternde Dörfer

Obwohl unsere Städte ständig versuchen
uns den Himmel vertrauter zu machen
indem sie Aussichtspunkte
Balkone Terrassen bereit stellen
Obwohl sie behaupten man sehe von oben
den womöglich zärtlichsten
Punkt im All
eine übergroße Murmel mit blauem Zentrum
und sie uns Treppen und Aufzüge hochlocken
und uns die Sicherheiten zeigen
Geländer und Netze
die Schönheit
der Leuchtreklamen
Laster so klein daß wir uns selber
riesig vorkommen
Obwohl sie Lärm machen von unten her
der alles übertönen soll
hören wir manchmal das Flüstern der Dörfer
und manchmal glauben wir etwas davon
und springen
wie Supermann


Der Tag an dem die Möwen zweistimmig sangen

Während das Wasser zurückgeht und Quallen liegenbleiben
unbehelligt vom Salz
von der Oxydation und der Sonne
neidest du den Kindern die mit in den Sand gestoßenen
Fersen nach Muscheln stochern ihre Sicherheit
mit einer dich vollkommen
verblüfften Gewalt
Dein Auge ist gereinigt hat jetzt schärfere Pupillen
während die Brandung sich ins Meer zurück frißt
fehlt dir etwas
einigen Jahre in Happen klein wie die Rückseite einer Briefmarke
weiß wie Oktopusfleisch haben die Möwen
mitgenommen Da ist ein Schmerz mit
geklappter Verbindung zum Kopf
Sehnige Schlieren aus Öl bedecken
die Wellen führen durch Schaumränder
nach früher
und in
die Zeit
in der du langsam zerzaust die Treppe des Abschieds
heruntergegangen bist bis an den Strand hier
– Schwimmen kannst du noch, aber du schwimmst dich
nicht mehr frei –
Ich weiß dich erstaunt an den Quallen
die Fähigkeit häßlich und dennoch durchsichtig zu sein
und ich weiß daß du gleich
schreiend die Auskunft verlangst was ich anderswo suche
in der Hoffnung ich fragte zurück


Medusas Frisör

Geschwätzig wie ein Faun verstummt er
erst vor seiner liebsten Kundin
hält dann die Finger hinein in den Hinterkopf
droht mit der Schere zärtlich allen
schwarzen Schlangen und leise sprechend
hat er schwupps
die Finger in den kalten Schuppen drin
säbelt die Spitzen ab kuppt die ringdicken
Scheiben an Fleisch Manchmal legt er
die Schere weg modelliert und steckt fest
Es heißt er mache auch Liebe so: mit freien Händen
Er ist neu und brillant ein Frisör für Verfluchte
Buddha der Kämme Held der Shampoos
Doch verschwindet die Kundin verwandelt er sich
zurück zum krummrückigen Schnippler ist
Endstation aller Sagen
Dann wirft er Klatsch zu den Haaren
und es wimmelt der Boden
Medusa die ist
früher eine zauberhafte Frau gewesen
langlang vor ihrer Metamorphose
dem Fall aus dem letzten Kapitel

 

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