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Ausstellung im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden

"My home is where my heart is..."

kuratiert von Elke Gruhn und Steffen Conradi
vom 14. März bis zum 25. April 2004

Mit Makato Aida (*1965 Tokio), June Bomb Park (*1975 Seoul), Rolf Hinterecker (* Köln), Minna Langström (*1972 Helsinki), Martin Liebscher (*1964 Berlin), Sven Pahlson (*1965 Oslo/New York), Peter Schmitt (*1969 Düsseldorf), Silke Andrea Schmidt (*1969 Offenbach)

...als drücke man auf den „fast forward button“ am Recorder – im Zeitraffertempo wird ironisch, kritisch aber auch poetisch die Realität von Alltag und Forschung weitergedacht und in Frage gestellt: Nahrungsmittelknappheit, Überbevölkerung, genetische Vervielfältigung des Menschen, Verkehrschaos, Dominanz des Computers, Überwachungssysteme, Stereotypisierung des Lebens, ...



 

Silke Andrea Schmidt · “My home is, where my heart is”

Installation aus 4000 Weinbergschneckenhäusern in Latexfingerlingen, 4000 OP-Tupfern, 1000 Seidenraupenkonkons, einem Steinkreuz und 2 Hasen...

(...) Die Stereotypisierung des Lebens, Vergänglichkeit und Verfall alles Lebendigen ist ein Aspekt dieser Arbeit. Natürliche und industrielle Materialien stehen in einem seltsamen Spannungsverhältnis. Etwas ist aus den Fugen geraten. Das Material Mull wird eingesetzt, als gelte es, heilend einzugreifen. Unaufdringlich, aber unübersehbar kündet diese Installation davon, wie fremd geworden ist, was einmal Natur hieß. (Text von Christoph Schütte, FAZ, 2002)

In der Ausstellung “Wunderkammer_ und alles Fleisch wird zu Gras..” (2002) gab es Luftmatratzen, die mit Heu, Stroh, Federn, Rosshaar oder Blättern verkleidet waren. Es hatte den Anschein, als seien die Luftmatratzen Naturfundstücke. Doch ihre Form gab einen Hinweis auf das Ursprungsobjekt, einen industriell gefertigten, unserer Wahrnehmung vertrauten Gegenstand.

Bei den Schnecken ist es genau umgekehrt, man erkennt die natürliche Form, doch durch die Latexhülle (ein Schutz vor der Langsamkeit, die nicht in unsere Zeit gehört?) und die Menge wird die Schnecke zu einem stereotypen, industriellen Objekt.
Es entsteht eine eigenartige Dialektik, deren Ausgangsgedanke die Entfremdung des Menschen von seiner inneren und der äußeren Natur ist. Letztere scheint immer mehr aus dem Lebensumfeld zu verschwinden oder wird gänzlich von der menschlichen Struktur annektiert.

(...) Menschen verfügen über das Leben von Tieren. Diese können kein Zeugnis ablegen, sie sprechen nicht. Sie hinterlassen keine lesbaren Zeichen. Was einem Tier geschieht, wird von ihm nicht ausgesagt, es wird den Schmerz für sich behalten. (Text von Dr. Petra Leutner, 2002).

In dem Zusammenhang ist die Arbeit eine Hommage an die Schnecken, die Raupen, stellvertretend für viele andere – ihr Leben und Sterben für den menschlichen Luxus. Zurück bleibt das Haus..
"My home is, where my heart is.."




 

Text von Christoph Schütte, FAZ, 20.04.2004

„Schwindel am Tresen“

Die Ausstellung „fast forward“ in Wiesbaden

Damals, als der Schöpfer noch geholfen hat, war das Leben leichter. Allabendlich schaute er auf seine Welt und sah, daß es gut war. Heute, da das Paradies verloren ist, lesen wir täglich das Feuilleton und wissen nicht so recht, was davon zu halten ist. Immer schneller, so scheint es, folgt Fortschritt auf Fortschritt in der globalisierten Welt, macht das Leben leichter, bequemer, sicherer für die einen, unmenschlicher, komplizierter, prekärer für die anderen. „Ach, wie gut daß ich das nicht mehr erleben muß“, sagte man früher gerne angesichts beängstigender Zukunftsaussichten, und auch das hat sich erledigt, denn sie ist längst da. Was also müssen wir fürchten, was dürfen wir hoffen? Die Ausstellung „fast forward“, die derzeit im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden (Wilhelmstraße 15) zu sehen ist, verspricht Antwort.


Und genau das erscheint als Problem so mancher Arbeit. Wenn Sven Påhlsson in seiner 3D-Animation die triste Realität festungsgleich gesicherter amerikanischer Vorstädte ins Bild setzt, Rolf Hinterecker für sein „Genome Gnome Project“ einen Raum als schauerliches Labor voller Röhrchen und Kolben und Wässerchen einrichtet, in dem seltsame, dem Menschen dienende Wesen erzeugt werden und als mumifizierte Homunculi im Raum hängen, so mag man das alles schrecklich finden und die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Aber irgendwie erscheint das doch auch ein wenig langweilig, der künstlerische Mehrwert solcher Szenarios zudem vergleichsweise gering. „Brave new world“ eben, „1984“ vielleicht, ja, furchtbar, das können wir nicht wollen.


Wenn der japanische Künstler Makado Aida die Welt im Jahr 3000 betrachtet, in der das „eßbare künstliche Mädchen Mimi“ dem Menschen zur treuesten Begleiterin geworden ist, dann wird es immerhin hemmungslos makaber. Ihre Spannung aber verdankt die Arbeit der Gegenüberstellung von kühl und wertfrei in Aussicht gestellten Horrorszenarien und Elementen der traditionell anmutenden Kultur. Da knistert es dann doch. Alle in der Schau vertretenen Positionen vorwiegend junger Künstler beschäftigen sich auf die eine oder andere Weise mit Zukunftsvisionen der Gesellschaft und den Auswirkungen des Fortschritts auf das tradierte Menschenbild. Daß hier die düsteren Farben dominieren ist keine Überraschung.


Wirklich spannend sind freilich vor allem jene Ansätze, die sich bei aller Skepsis der Eindeutigkeit verweigern, mehr Fragen aufwerfen, als Antworten geben. So thematisiert die finnische Künstlerin Minna Långström in ihrer 3D-Animation mehr als nur die mehr und mehr umsichgreifende Videoüberwachung, fragt zugleich nach künstlicher Intelligenz, menschlichem Bewußtsein und zwischenmenschlicher Kommunikation, während der Betrachter spielerisch und wie nebenbei selbstverständlicher Teil dieser virtuellen Realität wird. Auch Silke Andrea Schmidts Rauminstallation hält die Balance, selbst wenn die Symbolik zwischen tausenden Schneckenhäusern, Kokons und OP-Tupfern hier in allen Ecken lauert.


Martin Liebscher hingegen, der mit zwei großformatigen Arbeiten aus der Serie „Familienbilder“ vertreten ist, stellt zuallererst die Frage nach dem Individuum, der prekär gewordenen Identität des Subjekts und damit gerade auch des Künstlers selbst. Dutzende, vielleicht hunderte kleiner Liebschers tummeln sich auf seinen am Computer zusammengesetzten Fotografien, geben sich gegenseitig Feuer, prosten sich zu oder rutschen gerade angeschlagen von den Zumutungen der Nacht vom Barhocker, während Wirt Liebscher dem Gast ein neues Bier zapft. Der Schwindel, der die multiple Künstlerpersönlichkeit hier ergreifen muß, entspricht dem Taumeln des Betrachters durch eine kaum noch zu entschlüsselnde Welt. Da möchte man sich angesichts der unbegrenzten Möglichkeiten gleich mal hinsetzen.


Die zweifellos poetischste Arbeit aber stammt von dem jungen Düsseldorfer Künstler Peter Schmitt und trägt den eher prosaischen Titel „04#03“. Wie ein künstlicher Baum steht die Skulptur im Raum, ab und an ist ein leises Summen, ein kurzes „Ratsch“ oder ein längeres Rattern zu vernehmen, und alle paar Minuten segelt von einer der wie reife Früchte herunterhängenden Kassenbon-Maschinchen ein Zettel auf den schon über und über mit künstlichen Blättern bedeckten Boden. Und während man sich noch bückt und schaut auf das weiße, wie trockenes Herbstlaub raschelnde Papier, mag man sich wehmütig an Zeiten erinnern, in denen der Baum der Erkenntnis noch Früchte trug. Doch es hilft ja nichts. Die Blätter, durch die man hier watet, sie sind leer.




 

Katalogtext zur Ausstellung von Elke Gruhn, 2004

„My home is, where my heart is“ von Silke Andrea Schmidt

Der Hase, bereits in der altchristlichen Kunst Symbol der flüchtigen Zeit und des kurzen Menschenlebens, wacht gleich zweimal über die Installation, in der sich 4000 Weinbergschnecken zu einer seltsamen, sterilen Landschaft versammeln, deren einzige Pflanze, eine weiße Lilie, die „schöne“ Morbidität untermalt, die das gesamte Panorama ausströmt. Dabei spiegelt die Massierung der Tierskelette nur ansatzweise die realen Lebensbedingungen des abwesenden Tieres wieder, das seit Jahrhunderten vor allem von Feinschmeckern im Dutzend oder Halbdutzend auf dem Vorspeisenteller wahrgenommen wird, sein Leben aber in einer Dichte von 200 Tieren pro Quadratmeter fristet.
Jedes einzelne Schneckenhaus ist mit einem medizinischen Latex Fingerling überzogen, die milchige Uniformierung reduziert die individuelle Patina der Schneckenhäuser, durch die unangemessene Verpackung werden die Schneckenhäuser auf ein klinisch sauberes und gleichförmiges Produkt reduziert, an das abwesende, sich kriechend fortbewegende Lebewesen erinnert das schlaffe Ende der Latexhülse.

Die klassischen Symbole eines christlichen Grabdenkmals, wachen über die absurde Szene: das lateinische Kreuz, die Vergegenwärtigung des Opfertodes von Jesus Christus für die Heilung der Menschheit, liegt gestürzt in der Ecke des Raumes. Der Hase, Zeichen der flüchtig verstreichenden Zeit, des kurzen Lebens aber auch der Geschwindigkeit und der fortwährenden Reproduktion des Lebens hängt als Jagdtrophäe an der Wand, bzw. hockt wartend witternd vor dem gestürzten Kreuz, hier ist er tot und ausgestopft. Die dreikelchige weiße Lilie, Blume der Unschuld und der Unbefleckten Empfängnis, des Lebens und der Gnade Gottes, sie fehlt in keiner Darstellung des jüngsten Gerichtes, steht in einem Gummisaugnapf zur Reinigung verstopfter Abwasserleitungen...

Eine kleinere Anhäufung im Vordergrund besteht aus Seidenkokons, jedes einzelne beherbergt noch die tote Raupe, die, um den kostbaren Faden zu „ernten“ sterben muss. Im Hintergrund der Landschaft ein Berg steriler OP Tupfer aus Mull, als gelte es, heilend einzugreifen und etwas wieder gut zu machen, vereinzelt finden sie sich auch im Raum.
„Zeige deine Wunde“ nannte Joseph Beuys ein Environment, überhaupt bezieht sich Silke Andrea Schmidt mit ihrem Bezug auf die christliche Symbolsprache auf den Schamanen, der immer wieder auf den Verlust des natürlichen Bezuges des Menschen zur ihn umgebenden Welt verwies...

Leise, aber unübersehbar kündet diese Installation davon, wie fremd geworden ist, was einmal Natur hieß, eine Hommage an die Schnecken, die Raupen die Hasen, stellvertretend für viele andere - ihr Leben und Sterben einzig für den menschlichen Luxus. Zurück bleibt das Haus. My home is, where my heart is…

 

Artikel: Wiesbadener Tagblatt vom 13.03.2004

 

Katalog "My home is where my heart is" (pdf = 4 MB)
Arbeiten von 2002 bis 2004
© Silke Andrea Schmidt · 2004
40 Seiten, Text von Christoph Schütte
Auflage: 1000

 

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