Fast Forward |
Ausstellung im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden "My home is where my heart is..." kuratiert von Elke Gruhn und Steffen Conradi Mit Makato Aida (*1965 Tokio), June Bomb Park (*1975 Seoul), Rolf Hinterecker (* Köln), Minna Langström (*1972 Helsinki), Martin Liebscher (*1964 Berlin), Sven Pahlson (*1965 Oslo/New York), Peter Schmitt (*1969 Düsseldorf), Silke Andrea Schmidt (*1969 Offenbach) ...als drücke man auf den „fast forward button“ am Recorder – im Zeitraffertempo wird ironisch, kritisch aber auch poetisch die Realität von Alltag und Forschung weitergedacht und in Frage gestellt: Nahrungsmittelknappheit, Überbevölkerung, genetische Vervielfältigung des Menschen, Verkehrschaos, Dominanz des Computers, Überwachungssysteme, Stereotypisierung des Lebens, ...
Silke Andrea Schmidt · “My home is, where my heart is” Installation aus 4000 Weinbergschneckenhäusern in Latexfingerlingen, 4000 OP-Tupfern, 1000 Seidenraupenkonkons, einem Steinkreuz und 2 Hasen... (...) Die Stereotypisierung des Lebens, Vergänglichkeit und Verfall alles Lebendigen ist ein Aspekt dieser Arbeit. Natürliche und industrielle Materialien stehen in einem seltsamen Spannungsverhältnis. Etwas ist aus den Fugen geraten. Das Material Mull wird eingesetzt, als gelte es, heilend einzugreifen. Unaufdringlich, aber unübersehbar kündet diese Installation davon, wie fremd geworden ist, was einmal Natur hieß. (Text von Christoph Schütte, FAZ, 2002) In der Ausstellung “Wunderkammer_ und alles Fleisch wird zu Gras..” (2002) gab es Luftmatratzen, die mit Heu, Stroh, Federn, Rosshaar oder Blättern verkleidet waren. Es hatte den Anschein, als seien die Luftmatratzen Naturfundstücke. Doch ihre Form gab einen Hinweis auf das Ursprungsobjekt, einen industriell gefertigten, unserer Wahrnehmung vertrauten Gegenstand. Bei den Schnecken ist es genau umgekehrt, man erkennt die natürliche Form, doch durch die Latexhülle (ein Schutz vor der Langsamkeit, die nicht in unsere Zeit gehört?) und die Menge wird die Schnecke zu einem stereotypen, industriellen Objekt. (...) Menschen verfügen über das Leben von Tieren. Diese können kein Zeugnis ablegen, sie sprechen nicht. Sie hinterlassen keine lesbaren Zeichen. Was einem Tier geschieht, wird von ihm nicht ausgesagt, es wird den Schmerz für sich behalten. (Text von Dr. Petra Leutner, 2002).
Text von Christoph Schütte, FAZ, 20.04.2004 „Schwindel am Tresen“ Die Ausstellung „fast forward“ in Wiesbaden Damals, als der Schöpfer noch geholfen hat, war das Leben leichter. Allabendlich schaute er auf seine Welt und sah, daß es gut war. Heute, da das Paradies verloren ist, lesen wir täglich das Feuilleton und wissen nicht so recht, was davon zu halten ist. Immer schneller, so scheint es, folgt Fortschritt auf Fortschritt in der globalisierten Welt, macht das Leben leichter, bequemer, sicherer für die einen, unmenschlicher, komplizierter, prekärer für die anderen. „Ach, wie gut daß ich das nicht mehr erleben muß“, sagte man früher gerne angesichts beängstigender Zukunftsaussichten, und auch das hat sich erledigt, denn sie ist längst da. Was also müssen wir fürchten, was dürfen wir hoffen? Die Ausstellung „fast forward“, die derzeit im Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden (Wilhelmstraße 15) zu sehen ist, verspricht Antwort.
Katalogtext zur Ausstellung von Elke Gruhn, 2004 „My home is, where my heart is“ von Silke Andrea Schmidt Der Hase, bereits in der altchristlichen Kunst Symbol der flüchtigen Zeit und des kurzen Menschenlebens, wacht gleich zweimal über die Installation, in der sich 4000 Weinbergschnecken zu einer seltsamen, sterilen Landschaft versammeln, deren einzige Pflanze, eine weiße Lilie, die „schöne“ Morbidität untermalt, die das gesamte Panorama ausströmt. Dabei spiegelt die Massierung der Tierskelette nur ansatzweise die realen Lebensbedingungen des abwesenden Tieres wieder, das seit Jahrhunderten vor allem von Feinschmeckern im Dutzend oder Halbdutzend auf dem Vorspeisenteller wahrgenommen wird, sein Leben aber in einer Dichte von 200 Tieren pro Quadratmeter fristet. Die klassischen Symbole eines christlichen Grabdenkmals, wachen über die absurde Szene: das lateinische Kreuz, die Vergegenwärtigung des Opfertodes von Jesus Christus für die Heilung der Menschheit, liegt gestürzt in der Ecke des Raumes. Der Hase, Zeichen der flüchtig verstreichenden Zeit, des kurzen Lebens aber auch der Geschwindigkeit und der fortwährenden Reproduktion des Lebens hängt als Jagdtrophäe an der Wand, bzw. hockt wartend witternd vor dem gestürzten Kreuz, hier ist er tot und ausgestopft. Die dreikelchige weiße Lilie, Blume der Unschuld und der Unbefleckten Empfängnis, des Lebens und der Gnade Gottes, sie fehlt in keiner Darstellung des jüngsten Gerichtes, steht in einem Gummisaugnapf zur Reinigung verstopfter Abwasserleitungen... Eine kleinere Anhäufung im Vordergrund besteht aus Seidenkokons, jedes einzelne beherbergt noch die tote Raupe, die, um den kostbaren Faden zu „ernten“ sterben muss. Im Hintergrund der Landschaft ein Berg steriler OP Tupfer aus Mull, als gelte es, heilend einzugreifen und etwas wieder gut zu machen, vereinzelt finden sie sich auch im Raum. Leise, aber unübersehbar kündet diese Installation davon, wie fremd geworden ist, was einmal Natur hieß, eine Hommage an die Schnecken, die Raupen die Hasen, stellvertretend für viele andere - ihr Leben und Sterben einzig für den menschlichen Luxus. Zurück bleibt das Haus. My home is, where my heart is…
Artikel: Wiesbadener Tagblatt vom 13.03.2004
Katalog "My home is where my heart is" (pdf = 4 MB)
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