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Katalogtext von Christoph Schütte, 2004
"...und alles Fleisch wird zu Gras"
Damals mochte man staunen. In den fürstlichen Kunst- und Wunderkammern der Renaissance, jenen Sammlungen aller möglichen und unmöglichen Dinge, hatte alles seinen Platz, als gelte es, ein Bild von der Welt zu zeichnen mit all ihren Wundern, ihrer Pracht und ihrer mitunter schaudern machenden Grausamkeit. Doch das ist lange her.
Heute, nach der Entzauberung der Welt, mag man die Dinge nüchterner sehen.
Dass sich Silke Andrea Schmidt aber für ihre erste raumgreifende Installation in der spätgotischen Kapelle des Isenburger Schlosses in Offenbach des Prinzips Wunderkammer bediente, war mehr als eine nostalgische Reminiszenz an längst vergangene Zeiten. Zwar bereitete „Wunderkammer_und alles Fleisch wird zu Gras...“ ein durchaus sinnlich zu nennendes Vergnügen, gab es Wolpertinger zu bestaunen, Vogelnester, Kokons und Betten aus Heu und Stroh, in die man sich am liebsten gleich hinein gekuschelt hätte. Daneben freilich waren die Verweise auf die Vergänglichkeit und den Verfall alles Lebendigen, wie er schon im bei Jesaja geborgten Titel anklingt, unübersehbar. Doch nicht der Renaissance oder dem Barock gilt Schmidts Aufmerksamkeit, sondern der Wunderkammer als, wenn man so will, künstlerischer Form. Die Welt aber, die sich darin spiegelt, ist deutlich die unsere. Mochten einzelne Makroaufnahmen eines Vogels, einer Maulwurfspfote oder einer filigranen Pflanzenornamentik noch so anmutig, ja fraglos schön sein - je länger man diese Wunderkammer inspizierte, desto weniger rührend und possierlich erschien das Sammelsurium. Natur und was wir darunter idealiter verstehen, hier begegnete sie dem Betrachter allererst als verdinglichte, nutzbar gemacht, in Form gebracht und zweckgebunden. Dort aber, wo sie unverhüllt sich zeigt, herrscht Schweigen.
Und so kündet noch jede Arbeit der jungen Mühlheimer Künstlerin allererst davon, wie fremd geworden ist, was einmal Natur hieß. Ob sie, wie in ihren Filzarbeiten, springende Rehlein und röhrende Hirsche ins Bild setzt oder, wie unlängst im Nassauischen Kunstverein Wiesbaden, Tausende Schneckenhäuser in Latex verpackt, die Bilanz ist im Grunde erbärmlich, die Entfremdung könnte größer nicht sein. Formstrenger, kühler als in der „Wunderkammer“ erschien die Wiesbadener Installation, flankiert von Lilie, Kreuz und Hase, als Bild gewordenes Memento mori.
Schneckenhäusern und einer Anhäufung von Seidenraupenkokons stand ein schneeweißer Berg aus Mulltupfern gegenüber, als gelte es, heilend einzugreifen. Das Leben aber hat sich längst davongemacht. Schmidt wirft einen letzten, staunenden und melancholisch zu nennenden Blick auf die Wunder der Schöpfung, während der Mensch alles nach seinem Bilde zu formen längst begonnen hat. Und das Wissen darum, dass alles Fleisch einst zu Gras werde, „das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, wenn der Hauch des Herrn sie anweht“ - beinahe ist man geneigt, darin so etwas wie Trost zu finden.
Momente voller Schönheit und Tragik
Silke Andrea Schmidt zeigt neue Arbeiten in der
Offenbacher Galerie Thomas Hühsam
Naturerlebnisse sind im Alltag der Menschen, zumal im Ballungsraum, selten
geworden. Wer das in dieser ökonomisch geprägten Zeit beklagt, erntet häufig nur ein Achselzucken. Doch verliert der Mensch mit der Nähe zur Umwelt nicht auch den Bezug zu den eigenen Wurzeln?
Die in Offenbach lebende und arbeitende Künstlerin Silke Andrea Schmidt,
Absolventin der HfG und fest im städtischen Kunst-Netzwerk verankert, hat
diesen Mangel erkannt und will mit ihren Werken animieren: zur Reflexion
über den persönlichen Schatz an Natur-Erfahrung, auch zur Auseinandersetzung mit der eigenen Lebenswelt. Sie weist auf die Schönheiten der Umwelt hin, ohne sie zu idealisieren. Und man fragt sich angesichts der zurzeit in der Offenbacher Galerie Hühsam gezeigten Ausstellung "September" immer wieder erstaunt, wie deren Harmonie, aber auch ihre Tragik, in der täglichen Flut künstlicher Reize in Vergessenheit geraten konnte.
Silke Andrea Schmidt rückt den Protagonisten ihrer großformatigen
Fotografien im Wortsinne auf den Pelz respektive das Gefieder und erzeugt
schon durch die extreme Nähe zum Objekt Betroffenheit. Beeindruckend die
Detailaufnahmen eines sibirischen Uhus, dessen bernsteinfarbenes Auge mit
dem grauweißen Gefieder kontrastiert. Erhaben blickt ein Falke auf den
Betrachter, in seinen Augen scheint sich der Jagd-instinkt zu spiegeln.
Beinahe schmerzlich die schonungslosen Abbilder eines Mäuseembryos und einer toten Taube, deren abgetrennter Kopf von Blut und ein paar ausgerupften Blumen umrahmt wird. Licht und Ausschnitt werden hier sehr pointiert eingesetzt, die Grenzen der Fotografie hin zur Malerei erweitert,
Gegenständlichkeit zur Abstraktion gewendet.
Ihre Motive sammelt Silke Andrea Schmidt in unmittelbarer Umgebung, im
Taubenschlag, im Gehege eines Falkners oder auch auf der Straße, wovon drei mumifizierte Kröten hinter Glas zeugen, an denen wir normalerweise achtlos vorübergehen würden, die hier aber dramatisch ins Blickfeld rücken. Zum Mitleid für diese offensichtlichen Verkehrsopfer gesellt sich ein subtiles
Gefühl der Faszination für die Ästhetik dieser ganz und gar unspektakulären
Körperwelten.
Drastischer, plakativer hingegen formuliert die Künstlerin ihren Appell in
den morbiden Collagen aus Oblaten und miniaturisierten Zielscheiben, die
Rehe und Wildschweine ins Fadenkreuz nehmen. Wie heil und ungestört dagegen scheint die Welt ihrer filigran gearbeiteten Filzbilder - eine trügerische Idylle. Auf grober Leinwand geben uns von technoiden Querstreifen durchzogene Tuschebilder neue Rätsel auf: Was ist an der hiesigen Natur eigentlich noch natürlich?
Text von Carsten Müller, Offenbach-Post, Kultur, 16.9.2004
Zu bestellen:
Katalog "My home is where my heart is" (pdf = 4 MB)
Arbeiten von 2002 bis 2004
© Silke Andrea Schmidt · 2004
40 Seiten, Text von Christoph Schütte
Auflage: 1000
Preis: 18,– € zzgl. Versandkosten
bei info@silke-andrea-schmidt.de
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